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  • AutorenbildSamarraLeFay

Tagebuch von Arilia 2

Aktualisiert: 21. Dez. 2021

Elfter Zuktur, 1320

Geschätztes Tagebuch,

Ich brach gleich nach dem letzten Eintrag gestern Abend auf. Meine Sachen hatte ich bereits gepackt. Viel war es ohnehin nicht. Ein paar Kleidungstücke, kleiner Dolch, Bogen, Rucksack, Schlafmatte, Seil, wenig Trockenfleisch, Früchte und Brot. Ich habe den Dietrich bereits in den Händen gehalten, aber als ich ihn bei Seite legte, fiel ein Stein von meinen Schultern. Ich will von diesem Pfad abweichen, also war es die beste Entscheidung den Dietrich zurück zu lassen. Ich werde ihn nicht mehr benötigen. Zudem konnte ich mir einige Silber- und Kupfermünzen auf die Seite schaffen. Ich hoffe, dass diese reichen um mir ein neues Leben aufzubauen und ich nie wieder etwas stehlen muss.

Schwer schnaufend schulterte ich meine Sachen. Mein Gepäck war schwerer als erwartet. Ich war gerade auf dem Weg in die Küche, da hörte ich Stimmen aus dem angrenzendem Zimmer. Auf Zehenspitzen und flach atmend schlich ich mich der Wand entlang näher. Die Stimmen gehörten zu meiner Schwester Ria und meinem Bruder Dukus. Sie saßen im Kerzenschein auf wuchtigen Sesseln und gönnten sich einen von Vaters teuren Weinen. Von meinem Platz aus konnte ich sehen, wie Ria ihr Weinglas schwenkte und dabei gewichtig in die Ferne blickte. Dukus flüsterte meiner Schwester zu: „Hast du gesehen wie bleich Arilia wurde, als es hieß sie müsse morgen mit der Ausbildung zur Schurkin beginnen?“ Er kicherte leise in sich hinein und ich wette mit dir, seine Augen müssen dabei schadenfreudig geglänzt haben.

Meine Schwester antwortete, ebenfalls kichernd: „Ja, geschieht ihr recht! Sie ist aus allen Wolken gefallen, als sie der Große Alte nicht erwählt hatte.“ Ria schnaubte abfällig ehe sie weitersprach: „Wie vermessen von ihr, anzunehmen, er würde sie in seine Dienste berufen. Diese Ehre gilt nur den Stärksten und Klügsten. Sie ist so zerbrechlich, was könnte der Große Alte mit ihr als Dienerin schon anfangen wollen? Aber auch als Schurkin wird sie keine gute Statur machen. Ich meine, sie ist immer so ehrlich, dass es geradezu dumm ist. Dabei wäre sie gar nicht sooo dumm.“ Dabei verzog sie ihr Gesicht, als ob sie in eine Zitrone gebissen hatte.

Mein Bruder gluckste: „Doch, doch sie ist wirklich so dumm. Hast du gehört als Mama die Köchin gescholten hatte? Mama war überzeugt, dass die Köchin Kekse geklaut hatte. Als Arilia dies mitbekam, nahm sie die Schuld auf sich. Dabei habe ich die Köchin gesehen, wie sie es tat. Arilia musste zur Strafe zwei Woche Latrinendienst absolvieren. “

Ria kratzte sich am Kopf: „Moment Mal! Bedeutet dies, dass unsere ehrliche kleine Schwester gelogen hatte?“

Dukus schnaubte angewidert: „Ja, aber um jemandem zu helfen. Einer Außenstehenden! Einer Fremden!“

Fremd? Fremd?! Ha! Die Köchin Getrude ist schon meine ganze Kindheit in diesem Haus gewesen und war mehr für mich da als meine Eltern. Und meine Mutter wollte sie wegen Mundraub anzeigen. Das hätte für sie einige Peitschenhiebe bedeutet. Mundraub für ein paar Kekse, die bei uns im Haus niemand ass. Wie kann man nur so grausam sein?

Das Gespräch meiner Geschwister dauerte noch länger, aber ich verlor das Interesse daran weiter. Ich war so wütend, dass ich beinah ins Zimmer gestürzt wäre, um ihnen die Meinung zu geigen. Sie glauben erhaben zu sein und auf andere herab sehen zu können. Sind sie nicht. Das Gespräch zu belauschen hatte mich dennoch sehr aufgebracht. Beinahe wäre ich sogar wieder umgekehrt in mein Zimmer um es ihnen zu beweisen! Beweisen, dass ich stark bin. Dass ich es wert bin. Besser bin als sie! Dass sie ihre Lästereien sonst wohin stecken konnten. Zum Glück tat ich es nicht.

Ungehört schlich ich mich an ihnen vorbei in die Küche und verließ mein nun ehemaliges Zuhause über ein Fenster.

Ich nahm viele Seitengassen und mied die großen Straßen. Ich trug meinen dunklen Umhang und hatte die Kapuze oben. Ich wollte möglichst wenig Leuten begegnen. Ich weiß gar nicht ob mich meine Familien suchen würde, aber falls, dann möchte ich es ihnen nicht zu leicht machen.

Beim Stadttor angekommen verkroch ich mich in eine dunkle Ecke und tat so, als ob ich schlafen würde. Nichts ungewöhnliches hier in Malbaliran. In vielen Ecken liegen Leute die kein Zuhause haben. In den warmen Jahreszeiten ist dies auch kein Problem. Aber in den Wintermonaten sterben vor allem viele Straßenkinder. Sobald es wieder warm wird, fangen alle Straßen an nach Verwesung zu stinken und die Stadtwachen müssen die Straßen von den Leichen säubern.

Bei Sonnenaufgang öffnete sich das Tor. Ich konnte es ohne Aufsehen zu erregen passieren. Mein Herz klopfte bis zum Hals, bis zuletzt glaubte ich, ich würde aufgehalten werden. Aber nichts dergleichen geschah. Ich konnte Malbaliran hinter mir lassen. Als ich mich unbeobachtet wähnte rannte ich los in den Wald. Ich war erfüllt vom überwältigenden Gefühl der Freiheit. Ich konnte es kaum fassen. Ich rannte, machte Luftsprünge und jauchzte unkontrolliert. Falls mich jemand dabei beobachtet hat, wird dieser unweigerlich glauben müssen, dass ich vom Wahn befallen war.

Irgendwann ließ die Freude nach und eine ungewohnte innere Ruhe erfasste mich. Ich streifte durch den Wald und bestaunte dessen Wunder. Wusstest du, dass Eichhörnchen Tannenzapfen schälen und nur einen kleinen Teil davon essen?

Irgendwann wurde es Abend. Für diese kommende Nacht kletterte ich auf einen Baum und band mich dort fest. Nicht die bequemste Art zu schlafen, aber wahrscheinlich sicherer als alleine am Boden.

Es war heute ein ereignisreicher Tag. Ich bin gespannt was in den kommenden Tagen noch auf mich zukommt. Welche Wunder werde ich sehen? Welche Prüfungen bestehen? Aber für heute wünsche ich eine gute Nacht.



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