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AutorenbildSamarraLeFay

Bestandeskontrolle

Aktualisiert: 24. Sept. 2022

„Warum hast du diesen Job angenommen?“

Riaks Blick streifte über ihre Nichte. Wie sie selbst trug sie einen Raumanzug, doch Jeanne hatte sich lautstark darüber beschwert. Riak hatte sich einen langen Monolog über die fehlende Indivualität anhören müssen, der ihr noch immer ein nachsichtiges Lächeln abrang. War doch Jeanne auch in einem Raumanzug immer etwas Besonderes. Im Gegensatz zu Riaks nachtblauer Haut war ihre hellblau fast schon silbern, was ihr einen statuenähnlichen Look verlieh. Um diese Ausstrahlung hatte Riak sie schon immer beneidet.

Jeanne tippte ungeduldig mit den Fingern auf die Armlehnen. Sie wartete immer noch auf eine Antwort.

Warum sie diesen Job angenommen hatte? Das war die Eine-Million-Megakredits-Frage. Sie hörte die Männer vom Frachtraum bis zu ihnen in der Kommandobrücken johlen und hoffte inständig, dass niemand kotzen musste. Zum Glück hatte der Frachtraum, brandneu, eine Selbstreinigunsfunktion. „Weil die Bezahlung gut war.“

„Das sagst du bei jedem Job.“

„Ich nehme auch nur Jobs mit guter Bezahlung an."

Jeanne zog die Knie an und legte ihr Kinn darauf. „Also wenn ich mal einen Job habe, dann möchte ich etwas machen, was mir Spaß macht.“

Riak schnaubte: „Was nützt dir Spaß wenn du daran nichts verdienst?“

„Ich glaube, es sollte beides möglich sein. Angemessene Bezahlung und Spaß.“

Jugendliche sind immer so idealistisch. Wie reizvoll wäre es doch, nochmals so jung zu sein und sich keine Sorgen um die Zukunft machen zu müssen.

„Ich glaube einfach, du könntest mehr aus deinem Leben machen!“ Jeanne knabberte an ihren Nagelhäutchen.

„Bitte?“ Jetzt musste sich sich noch Laufbahntipps von ihrer kleinen Nichte, die nichts von der Welt gesehen hatte, anhören!

„Naja, weißt du, Mama sagte auch, dass du besser...“

Riaks Blick ließ sie verstummen. „Hat darum deine Mutter mich gefragt, ob ich auf dich aufpassen kann?“

„Nein!“ Jeanne schaute sie betroffen an und fügte kleinlaut dazu: „Ich habe Mama gefragt, ob ich in den Ferien zu dir kommen kann. Ich wollte mit dir durch das All fliegen. Neue Planeten entdecken. Sterne bereisen! Meteoriten wegbomben! Vielleicht sogar einen Blobb...“

„Blobbs werden hier nicht erwähnt, das bringt Unglück!“

Eine bedrückende Stille breitete sich aus.

Jeanne stand auf und holte sich von hinten einen Schokoladenriegel. Kauend setzte sie sich wieder hin.

Besser als wenn sie weiter an ihren Nagelhäutchen knabberte. Riak machte das wahnsinnig.

Weiteres Gejohle drang vom Frachtraum zu ihnen hinauf. Was die wohl dort unten machten? Sie hätte doch einen schallisolierten Frachtraum kaufen sollen. Aber sie hatte sich versprochen, nie mehr etwas Lebendiges im Frachtraum zu transportieren. Soviel zu ihren Versprechen an sich selbst.

„Komm schon, stell deine Frage. Ich höre dich bis hierhin denken.“

Jeanne leckte den letzten Krümel aus dem Papier. „Ich verstehe noch immer nicht, was wir genau machen sollen.“

„Genau genommen muss nur ich etwas machen und es ist auch nicht wichtig, wenn du den Sinn dahinter nicht verstehst.“

„Meteroritenspalterei.“

Riak seufzte ergeben. Die Neugier der Jugend konnte manchmal anstrengend sein. „Also, wir fliegen zum Planet B...“

„Das ist der Flinen-Evakuierungsplanet richtig?“

Riak nickte zufrieden. „Genau. Weißt du auch, wie lange das her ist?“

„Sind wir hier in der Schule? Zweihundertfünfzigjahre.“

„Ich verstehe gar nicht warum deine Mutter immer erzählt, dass deine Noten so schlecht sind.“

Jeanne zog eine Schnute. „Gar nicht wahr!“

Riak zwinkerte Jeanne aufmunternd zu. „Inzwischen hat sich die Population der Flinen über den ganzen Planeten ausgebreitet. Sie ist inzwischen so groß, dass das ganze Ökosystem aus dem Gleichgewicht gerät.“

„Ja, aber, wieso sagt man die Flinen nicht, sie sollen mehr Acht geben?“

Riak seufzte. „Deine Mama sagt dir das auch immer wenn du zur Schule gehst. Nützt das was?“

„Willst du mich mit Flinen gleichsetzen?“, fragte Jeanne, dabei zogen sich ihre Augenbrauen wie zwei Raupen zusammen.

„Naja....“

„Sie können nicht mal rechnen.“

Jeanne sah sie warnend an. Riak grinste und verkniff sich den Spruch.

„Auf jeden Fall ist irgendwer, der schlauer ist als wir, zum Entschluss gekommen, dass es auf dem Planeten zu viele Flinen gibt, und dass das geändert werden muss.“

„Darum setzst du dort diesen Trupp an Auftragsmördern ab?“

„Das sind Jäger und Bestandeskontrolleure.“

„Sie werden dorthin gebracht um die Flinen zu töten oder?“

„Ja.“

„Aber die Flinen sind gar nicht freiwillig dort, sondern weil jemand sie dorthin gebracht hat.“

„Um ihre Art zu erhalten“, warf Riak ein.

„Trotzdem finde ich es unfair, dass sie jetzt getötet werden sollen, nur weil sie sich gut angepasst haben.“

„Sie zerstören dort jetzt alles…“

„Hätte man sich das nicht früher überlegen können?“

„Ich glaube jeder Fline würde gerne weiterleben.“

„Ja, das glaube ich auch.“

„Wie entscheiden die Jäger, welche Flinen sie töten und welche nicht?“

„Ich weiss es nicht.“

„Können wir sie fragen?“

„Wer?“

„Die Jäger?“

Innerlich seufzten schloss Riak die Augen und nickte schlussendlich. Sie drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage: „Hey ihr, meine Nichte will wissen, wie ihr entscheidet, welche Flinen getötet werden und welche nicht.“

Es dauerte einen Moment, bis sich eine rauchige Stimme zurückmeldete: „Wir suchen uns die saftigsten aus.“

Jeanne würgte: „Sie essen Flinen.“

Riak wurde es bei der Vorstellung flau im Magen. Flinen gingen auf zwei Beinen und den intelligentesten Exemplaren ihrer Art konnte man sogar eine Zeichensprache beibringen.

„Können wir nicht umkehren?“, drängelte Jeanne. „Du kannst das doch nicht zulassen. Diese Auftragsmörder können wir nicht auf die Flinen loslassen.“

„So einfach ist es nicht“, seufzte Riak.

„Du verkaufst deine Seele, wenn du diesen Auftrag ausführst.“

„Wenn der Bestand nicht dezimiert wird, dann werden sie den ganzen Planeten zerstören auf ihrer Suche nach Nahrung. Und irgendwann werden sie nichts mehr zu Essen finden und dann werden die Flinen verhungern. Ist das etwa besser?“

„Ja! Auf jeden Fall!“

Die Vehemenz hinter diesen Worten erstaunte Riak. „Warum?“

„Einige werden überleben. Es überleben immer welche. Und diese können dann aus ihren Fehlern lernen. Und es vielleicht das nächste Mal besser machen. Zumal alles besser ist als von ein paar räudigen Jägern gegessen zu werden.“

Riak seufzte. Wie recht ihre Nichte doch hatte.




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